Hüteverhalten des Hundes


Ursprung und Funktion des Hüteverhaltens

Das Hüteverhalten gehört zu den sogenannten rassespezifischen Verhaltensweisen und ist vor allem bei Hütehunderassen wie dem Border Collie, Australian Shepherd, Sheltie oder den Schäferhundartigen stark ausgeprägt. Ursprünglich wurde dieses Verhalten durch gezielte Zucht verstärkt, um dem Menschen bei der Arbeit mit Vieh eine nützliche Unterstützung zu sein.

Das Hüten umfasst dabei verschiedene Teilverhalten aus dem Jagdverhalten, jedoch ohne den abschließenden Tötungsbiss:

  • Fixieren
  • Anschleichen
  • Treiben
  • Einkreisen
  • Abdrängen

Diese Verhaltenselemente wurden züchterisch selektiert, um gezielt Kontrolle über Bewegungsrichtungen und Gruppenzusammenhalt bei Tieren wie Schafen oder Rindern zu ermöglichen.

Fehlgeleitetes Hüteverhalten im Alltag

Im heutigen Familienkontext fehlt vielen dieser Hunde die ursprüngliche arbeitsbezogene Auslastung. Das führt dazu, dass das Hüteverhalten oft fehlgeleitet oder unangemessen gezeigt wird. Typische Situationen, in denen sich das äußert:

  • Hüten von Kindern oder anderen Haustieren: Der Hund versucht, Menschen oder Tiere in der Wohnung zusammenzuhalten, abzudrängen oder sogar zu zwicken, wenn sie sich "ungeplant" bewegen.
  • Fixieren oder Jagen von Fahrrädern, Autos oder Joggern: Bewegungsreize können die Hüteinstinkte so stark ansprechen, dass der Hund versucht, diese „zu kontrollieren“ – was schnell gefährlich werden kann.
  • Unruhe bei Gruppenbewegungen: Wenn die Familie beim Spaziergang nicht zusammenbleibt, zeigt der Hund Stressverhalten, läuft zwischen den Personen hin und her oder bellt.

Diese Verhaltensweisen sind für den Hund nicht Ausdruck von Ungehorsam, sondern meist eine Überforderung durch ungenutzte Triebe und fehlende Alternativen.

Wie kann man damit umgehen?

Fehlgeleitetes Hüteverhalten lässt sich nicht einfach „abtrainieren“, da es tief im Wesen dieser Hunde verankert ist. Hilfreich sind:

  • Gezielte Auslastung: Kopfarbeit, Futterdummy Training, Suchspiele, Longieren, Tricks oder auch kontrolliertes Hüten unter Anleitung (wird in Vereinen angeboten).
  • Ritualisierte Aufgaben: Der Hund kann sinnvolle Aufgaben erhalten, die das Bedürfnis nach Kontrolle befriedigen, z. B. das Bringen bestimmter Gegenstände auf Signal.
  • Impulse kontrollieren lernen: Durch Impulskontrollübungen und Bindungsarbeit kann der Hund lernen, sich in Alltagssituationen besser zu regulieren.
  • Vermeidung von Überforderung: Besonders junge oder unausgelastete Hütehunde sollten nicht permanent Bewegungsreizen ausgesetzt werden, die sie nicht bewältigen können.

Hüteverhalten ist kein Problemverhalten an sich, sondern eine spezialisierte Verhaltensform, die im modernen Alltag oft keinen natürlichen Ausdruck mehr findet. Ohne bewusste Beschäftigung und Lenkung kann es zu fehlgeleitetem Verhalten führen, das sowohl für Mensch als auch Hund belastend ist. Wer einen Hütehund hält, sollte sich daher frühzeitig mit den rassetypischen Bedürfnissen auseinandersetzen und Wege finden, diese sinnvoll zu kanalisieren. 

Trainingsmethoden zur Umleitung von Hüteverhalten 

Hüteverhalten lässt sich nicht „wegtrainieren“, aber es lässt sich kontrollieren und umlenken. Wichtig ist eine Mischung aus Management, Impulskontrolle und Sinnstiftung.

Hilfreiche Trainingsansätze:

  • Impulskontrolltraining (z. B. durch Reizangel, Futterabbruch, Blickabwendung)
  • Alternativverhalten aufbauen: z. B. statt Fixieren → Blickkontakt zu Halter halten und Belohnung bekommen.
  • Targettraining: Der Hund lernt, auf Signal zu einem bestimmten Punkt zu gehen („geh auf deine Decke“, „umkreise das Target“).
  • Distanzkontrolle & Rückruf: besonders wichtig bei Hunden, die z. B. Jogger oder Radfahrer treiben wollen.


Rassespezifische Unterschiede im Hüteverhalten 

Nicht jeder Hütehund hütet gleich – die Unterschiede sind zum Teil genetisch sehr fein justiert: 

Rasse Typisches  |   Hüteverhalten   |  Besonderheiten
Border Collie
| Fixieren, Anschleichen, Treiben auf Distanz | Starke Reaktivität auf Bewegung, hoher Kontrollbedarf
Australian Shepherd | Näheres Treiben, beißen eher in die Fesseln | Stärkerer Schutztrieb, oft bellfreudig
Deutscher Schäferhund | Flankieren, Körperdruck, Schutzverhalten | Weniger "reines Hüten", mehr Schutz und Führung
Shetland Sheepdog | Bellend treibend, oft hüpfend | Sensibel, braucht sanftes Training
Kelpie / Heeler | Sehr körperbetontes Hüten, auch auf Rücken springend | Extrem arbeitswillig, braucht Aufgabe 


Das bedeutet: Was bei einem Collie z. B. als "intensives Starren" beginnt, zeigt sich beim Aussie vielleicht als „zwicken“ und bellen. Entsprechend sollte man das Training an die rassespezifische Neigung anpassen

Alltagstaugliche Auslastungsideen 

Man braucht keine Schafe, um einen Hütehund zufrieden zu machen – aber man braucht strukturierte Aufgaben mit Sinn

Geeignete Beschäftigungen: 

  • Longieren (mit klaren Regeln, nicht einfach nur im Kreis laufen)
  • Objektsuche / Geruchsunterscheidung (fordert Konzentration statt Jagd)
  • Treibball (z. B. Gymnastikball kontrolliert in ein Ziel lenken)
  • Tricktraining mit Fokus auf Distanzarbeit
  • Signalbezogene Bewegungskontrolle (z. B. „geh links um den Baum“, „stoppe“, „komm zurück“)

Wichtig: Beschäftigung soll geistige Kontrolle fördern, nicht bloß körperliche Erschöpfung bringen. Sonst züchtet man sich „Hochleistungshunde ohne Bremse“. 

Früherkennung & Prävention im Welpenalter 

Schon junge Hütehunde zeigen typische Hüteansätze – oft für Halter unerwartet früh

Warnsignale & typische Frühformen: 

  • Fixieren von Bewegungen (z. B. Kinder, Katzen, Fahrräder)
  • Stilles Anschleichen im Garten oder beim Spiel
  • Reaktion auf Unordnung in der Gruppe (Familienmitglieder gehen in verschiedene Richtungen)
  • Schnappen oder Zwicken beim Laufen

Prävention: 

  • Früh Impulskontrolle fördern: z. B. mit Signal „Schau mich an“, statt „Schau die Katze an“
  • Keine „Erfolge“ beim Fixieren – nicht gewähren lassen
  • Bewegungsreize gezielt und kontrolliert einsetzen (statt Reizüberflutung im Alltag) 


 

Typische Missverständnisse in der Haltung 

Viele Halter meinen es gut, doch manches Verhalten kann bei Hütehunden Verstärker für Probleme sein. 

Häufige Missverständnisse: 

  • Viel Auslauf = glücklicher Hund – falsch, wenn der Hund nicht lernt, sich zu regulieren.
  • Der Hund passt schon auf die Kinder auf – kann zu Problemverhalten führen (Zwicken, Treiben).
  • Freies Spiel mit viel Bewegung – kann Hüteverhalten gegen Artgenossen oder Menschen auslösen.
  • Bellen lassen = Ausdruck von Wachsamkeit – kann zum dauerhaften Erregungszustand führen.

Was hilft: Klare Routinen, geistige Aufgaben, ruhige Führungsstruktur, kein Dauerstress durch Reize, Regeln im Umgang mit Kindern. 


Was kannst du tun und wie deinen Hund unterstützen?
Hier findest du Trainings- und Alltagsplan für Hütehunde, besonders für Halter von Hütehunden, die mit fehlgeleitetem Hüteverhalten im Familienalltag zu tun haben – z. B. Fixieren, Treiben, Zwicken oder Unruhe bei Bewegungsreizen. Praxisnah, flexibel und auf eine Woche angelegt, mit Fokus auf: 
 

  • Mentale Auslastung
  • Impulskontrolle
  • Alternativverhalten
  • Alltagstransfer 


 

Tag 1: Orientierung & Ruhe 

  • Übung 1: Blickkontakt auf Signal („Schau mich an“)
    • Reizarm starten – Leckerli nahe Gesicht halten – Markerwort – Belohnung
    • Später steigern: Außenreize einbauen (z. B. draußen, mit Ball in Sicht)
  • Übung 2: Deckentraining (Ruhepunkt etablieren)
    • Hund auf Decke schicken – belohne das Verhalten ab und zu, nicht immer, damit bringst du deinen Hund in eine Erwartungshaltung
    • Auch einsetzen beim Essen, Besuch, Kinder spielen

Alltagstipp: Beginne mit festem Tagesrhythmus (Füttern, Ruhe, Spielzeiten). Struktur hilft dem Hütehund, sich zu entspannen. 

 

Tag 2: Impulskontrolle in Bewegung 

  • Übung 1: Hand-Target („Nase an Hand“)
    • Fördert Fokus & Kooperation – später fürs Umlenken nutzbar
  • Übung 2: Stopp-Training
    • Während der Bewegung „Stopp“ sagen → kurze Pause → Belohnung
    • Anfangs im Hausflur, später auf dem Spaziergang mit Schleppleine

Alltagstipp: Beim Spaziergang gezielt „ungeordnete Gruppenbewegung“ trainieren. Familie geht auseinander → Hund lernt: Ich bleibe beim Halter statt alle kontrollieren zu müssen. 

 

Tag 3: Reizbegegnung (kontrolliert) 

  • Übung: Bewegungsreize aushalten
    • Z. B.: Kind mit Roller fährt in Entfernung → Hund schaut Halter an = Belohnung
    • Leine locker, Distanz so wählen, dass der Hund noch ansprechbar ist
  • Spiel: „Bleib beim Menschen“
    • Familienmitglied läuft weg → Hund bleibt beim Halter = Lob
    • Ziel: Nicht jedem Reiz „hinterherarbeiten“

Alltagstipp: Bewegungsreize nicht meiden, aber gezielt und dosiert üben – zu viele freie Reize ohne Training = Rückfall ins Hüteverhalten. 

 

Tag 4: Kopfarbeitstag 

  • Übung: Futtersuche (z. B. im Laub, auf Handtuch)
    • Fördert Nasenarbeit, Frustrationstoleranz und Selbstständigkeit
  • Tricktraining (z. B. Pfote geben, Slalom, um Stuhl gehen)
    • Trick mit Distanz → z. B. „Geh um die Tonne“ für Bewegungslenkung

Alltagstipp: Kein Spaziergang? Kein Problem! 10–15 Minuten gezielte Kopfarbeit zu Hause wirken besser als 1 Stunde hektisches Toben. 

 

Tag 5: Alltagstraining 

  • Übung 1: Warten an der Tür
    • „Bleib“ beim Öffnen der Tür → Halter geht zuerst raus
  • Übung 2: Bewegen in der Stadt oder im Park
    • Schleppleine → Bewegung = „Arbeit“ → bei Reiz: Kontakt aufnehmen statt Treiben

Alltagstipp: Hund darf „arbeiten“, aber unter deinen Bedingungen. Biete „Ersatzaufgaben“ wie „Bring mir die Leine“, „Such das Spielzeug“. 

 

Tag 6: Kommunikation & Führung 

  • Übung: Körpersprache bewusst einsetzen
    • Klare Richtungswechsel, Körperspannung bei Abgrenzung („Du musst nicht kontrollieren – ich regel das“)
  • Signalkette: „Stopp – Komm – Ziel (Decke o. Target)“
    • Aufbau einer zuverlässigen Mini-Kommunikationseinheit, z. B. bei Besuch

Alltagstipp: Führe vorausschauend. Hütehunde lesen Körpersprache extrem gut – also zeig Souveränität, statt hektisch zu reagieren. 

 

Tag 7: Freier Übungstag 

  • Wiederholung & Integration:
    • Was war schwierig? Wiederhole gezielt unter erleichterten Bedingungen.
    • Belohne Ruhe und Selbstregulation mehr als Aktion!
  • Optional: Spaziergang mit Aufgaben
    • „Geh auf den Baumstamm“, „Sitz vor dem Mülleimer“, „Such den Ball“

Alltagstipp: Nutze Alltagssituationen als „Trainingsbühne“ – je häufiger dein Hund merkt, dass nicht reagieren belohnt wird, desto besser.